Grenzen der Quantenmechanik

Eine wesentlicher Anteil der Beiträge für diesen Blog beschäftigt sich mit der Quantentheorie. Ich habe diese Theorie im Physikstudium kennen gelernt, bin dann aber aufgrund einer freien Entscheidung davon abgekommen, und bin in der Klimatologie gelandet. Dort musste ich feststellen, dass die zugrunde liegende Theorie vollständig auf der Newtonschen Physik aufbaut, die seit 100 Jahren, also seit dem Aufkommen der Quantentheorie veraltet ist. Nun, für die Wettervorhersage mag dies durchaus gerechtfertigt sein. Das Wetter spielt sich in einem Bereich ab, in dem Quantenphänomene (und die Phänomene, die nach der Relativitätstheorie bei Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit auftreten), nicht berücksichtigt zu werden brauchen, da sie keinen messbaren Einfluss auf die Vorhersageergebnisse haben. Da sich die Modelle, die für die Simulation des Klimas – also die langjährige Statistik über das Wettergeschehen – verwendet werden, sich nur sehr wenig von den Wettervorhersagemodellen unterscheiden, scheint die Annahme ebenfalls Gültigkeit zu haben. Trotzdem – mit diesen Modellen werden alle Aussagen über das Klima hier und anderswo stets der eingeschränkten Weltsicht der Newtonschen Physik unterworfen sein. Da helfen auch die größten, schnellsten und teuersten Computer der Welt nichts. Hier geht es nicht um Quantität (noch mehr Klimasimulationen, noch komplexere Klimamodelle, die immer mehr Komponenten des Klimasystems mit immer genaueren Parametrisierungen der einzelnen Prozesse simulieren können), sondern um Qualität: Den Übergang vom Newtonschen Paradigma zu dem Paradigma, das durch die Quantenphysik definiert wird. Eine genaue Beschreibung, was dieser Übergang bedeutet, ist z. B. in meinem Blog mit den Übersetzungen einiger Aufsätze von H. P. Stapp und meiner Rezension des Buches von Natalie Knapp nachzulesen.

Trotz meines Wechsels zur Klimawissenschaft ist mein Interesse an der Quantenphysik niemals abgeflaut. Die QT ist zwar aus mittlerweile fast allen Gebieten der Physik nicht mehr wegzudenken, aber trotzdem ist es vollkommen unverständlich, dass sie immer noch unverstanden ist – eigentlich ein untragbarer Zustand. Wir tappen immer noch im Dunkeln mit der Frage, wie der Übergang von des physikalisch beschreibbaren quantemnechanischen Zustandes – oft schlicht als “Wellenfunktion” bezeichnet – zu der Welt aussieht, die wir erleben. Beide Welten scheinen sich völlig zu widersprechen, was bereits Schrödinger durch seine berühmte Katze veranschaulichte: In der physikalisch beschreibbaren Welt der Quantenmechanik gibt es Superpositionen aus lebenden und toten Katzen. Dagegen gibt es in unsere Erfahrungswelt nur ein entweder-oder. Wie konnte eine solch absurde Theorie bis heute überleben, in der Form, in der sie in den 1920er Jahren entwickelt wurde? Ganz einfach: Man fügte der physikalischen Beschreibung, die durch die sog. Schrödingergleichung oder mathematisch äquivalente Formulierungen gegeben ist, noch eine weitere Rechenvorschrift hinzu: Eine einfache statistische Formel, die Wahrscheinlichkeit und den Wert von Messergebnissen (merke: Messergebnisse = Erfahrungen) exakt richtig wiedergibt. Diese Rechenvorschrift, die sog. “Bornsche Deutung”, beschreibt den nicht näher definierten “Kollaps” bzw. Die “Reduktion” des Quantenzustandes, und bis heute ist kein Experiment bekannt, in dem die Anwednung der beiden Komponenten der Quantenmechanik, also der Schrödingengleichung und der Reduktion der Wellenfunktion, falsche Erbenisse lieferten.

Auf der anderen Seite konnte bisher niemand eine zufrieden stellende Theorie liefern, die ohne Schrödingers-Katzen-Zustände auskommt. Versuche in diese Richtung gab es allerdings genügend. Die bekanntesten gehen wohl auf Einstein zurück: Er glaubte, dass die Formulierung der QM wiedersprüchlich ist, und dass es eine deterministische Theorie geben müsse, die vollständig ist, trotzdem aber die statistischen Aussagen der QM richtig wiedergibt. Einsteins Kontrahent Nils Bohr dagegen vertraute völlig in die mathematische Beschreibung der QM und versuchte vergeblich, Einstein von dessen Widerspruchsfreiheit zu überzeugen.

Trotzdem sind wir heute weiter als Einstein und Bohr damals. Beide erlebten die Veröffentlichung von John Bell im Jahr 1964 nicht mehr: Bell bewies, dass es, die von Einstein gesuchte Theorie gar nicht möglich ist, vorausgesetzt die Quantentheorie stimmt. Anders herum ausgedrückt, jede deterministische Theorie, in der weit voneinander entfernte Teilchen keinen direkten Einfluss aufeinander haben (so etwas wird heute üblicherweise als “lokal-deterministische” Theorie bezeichnet), Voraussagen macht, die unter gewissen Umständen der Quantentheorie widersprichen muss. Diese Umstände konnten in mittlerweise zahlreichen Experimenten hergestellt werden, und jedesmal wurden die Voraussagen der Quantentheorie bestätigt. Das heißt, es konnte experimentell bewiesen werden, dass die “Natur” (was auch immer das sein soll) – völlig entgegen unserer menschlichen Intuition – nicht lokal-deterministisch ist. Selbst wenn doch noch Experimente gefunden werden, in denen Abweichungen von der QT gefunden würden – die Eigenschaft der Nichtlokalität in der Natur ist bestätigt, und jede mögliche Nachfolgetheorie der QT muss sie beinhalten. Ich schrieb bereits in früheren Einträgen darüber, z.B. über die von Lucien Hardy konstruierte Situation. Man braucht eine Weile, um die weltbilderschütternden Konsequenzen dieser Erkenntnis zu verstehen – mir ging es jedenfalls so: Ich begann es erst halbwegs zu verstehen, seitdem ich nicht mehr hauptberuflich Physik betreibe…

Erstaunlich ist die Tatsache, dass Einstein, Bohr, und ihre Zeitgenossen den Bell’schen Lehrsatz nicht selbst entdeckten. Mathematisch gesehen ist dieser Beweis nämlich ziemlich simpel – jedenfalls im Vergleich zu dem Zeug, womit sich diese Herrn im Laufe ihres Lebens sonst so beschäftigten. Für die Experten: Das einfachst mögliche Quantensystem ist das sog. “Qbit”, das mathematisch durch eine 2×2-Matrix beschrieben wird. Für den Beweis des Satzes braucht man lediglich die Beschreibung zweier verschränkter Qbits, was durch einen 4×4-Matrix möglich ist. Der Bellsche Satz zeigt, dass die Quantenmechanik geeignet ist, zu beweisen, dass die Welt nicht lokal funktioniert. Warum das so ist, da haben wir immer noch keinen blassen Schimmer… Darauf scheint uns die Quantentheorie keine Antwort zu liefern.

Troztdem zeigte sich, fast 50 Jahr nach Bell, dass die Quantentheorie noch mehr Antworten über die Quantennatur geben kann: Erst im letzten Jahr 2012 enschien eine Arbeit in “Nature Physics”, in dem bewiesen wurde, dass ein quantenmechanischer Zustand mehr ist, als eine reine Wahrscheinlichkeitsaussage. Bisher wäre es denkbar gewesen, dass ein und derselbe physikalische Zustand von zwei verschiedenen Beobachtern durch zwei unterschiedliche Quantenzustände ausgedrückt werden könne, wenn sie über unterschiedlichen Informationen verfügen. Um das zu veranschaulichen, könnte man sich vorstellen, dass zwei Personen die folgenden unterschiedlichen Informationen über das Wetter von heute in Hamburg verfügen: Der eine hat vielleicht die Information “Tageshöchsttemperatur 25 °C, leichter Westwind”, der andere dagenen “leicht bewölkt, keine Niederschläge”. Beide haben eine korrekte, aber unterschiedliche Beschreibung ein und desselben physikalischen Zustands. Wäre möglich, dass es analog möglich ist, dass zwei verschiedene Quantenzustände ein und dasselbe Quantensystem korrekt beschreiben können? Wäre das so, wäre ein Quantenzustand eine rein “epistemische” Beschreibung der physikalischen Realität. Die Autoren des besagten Artikels, namentlich Pusey, Barrett und Rudolph, zeigten jedoch – ausschließlich mit Hilfe der Quantenmechanik – dass genau dies nicht möglich ist. Der Beweis ist nur unwesentlich komplizierter als derjenige des Bellschen Satzes. Kaum zu glauben, dass noch 80 Jahre nach der Entwicklung der Quantenmechanik noch derart fundamentale Aussagen auf mathematisch einfache Weise aus dieser Theorie heraus zu holen sind. Erst heute entdeckte ich eine neue Arbeit, die sich auf diesen Beweis bezieht und behauptet, noch stärkere Aussagen machen zu können (muss ich mir erst noch ansehen). Man darf gespannt sein, ob es noch mehrere unentdeckte, rein aus der Quantenmathematik beweisbare, starke Aussagen über die Natur der Quanten gibt.

Alle genannten Sätze haben jedoch die Gemeinsamkeit, Aussagen darüber zu machen, was die Quantennatur nicht ist (engl. no-go theorem): Nicht-lokal, nicht-epistemisch usw.. Wozu die Quantenmathematik anscheinend nicht geeignet ist, ist, uns positive Antworten zu geben, wie z.B. auf die Frage, warum wir in unserer Erfahrung niemals Schrödingers-Katzen-Zustände sehen können. Ich finde, es ist an der Zeit, eine geeignete Nachfolgetheorie der QM zu finden, die das kann. Das wir natürlich dadurch erschwert, dass manche Wissenschaften die Quantenmechanik immer noch ablehnen obwohl das inzwischen völlig irrational ist. Dazu gehören u.a. die Neurowissenschaften, die Medizinische Wissenschaft usw., obwohl diese sogar Methoden verwenden, die auf der Quantentheorie basieren, wie die Kernspintomographie usw..

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