Gnosis

Schon als kleines Kind hatte ich die Vorstellung entwickelt, dass alles, was mit dem Körper zu tun hat, grundätzlich böse und schlecht ist. Also Sport, Körperkontakt, Sex, tanzen, u.s.w. Ich glaubte, wenn man gut sein will, muss man auf Spaß am Leben verzichten. Dadurch erlegte ich mir schon in diesem frühen Alter unglaublich strenge ethische Maßstäbe auf. Als ich dann älter wurde, bemerkte ich, dass ich nicht stark genug bin, um diese Grundsätze einzuhalten. Zusätzlich sah ich mich isoliert, da der überwiegende Teil der Menschheit solche Grundsätze nicht hat, und ihnen sogar ablehnend gegenübersteht, vor allem in unserer heutigen „modernen“ Gesellschaft. Dadurch entwickelten sich meine Schuldgefühle, und meine sozialen Ängste, so vermute ich. Woher ich diese Vorstellungen bereits in einem so frühen Alter habe, weiß ich nicht. In früheren Jahrhunderten wurden diese Grundsätze von der Kirche vertreten. Heute, wo beide großen Kirchen dabei sind, abzulosen, passen sie sich immer weiter der hedonistischen Lebensphilosophie an, die witzigerweise ursprünglich von den Atheisten und Religionsgegnern propagiert wurde. Normalerweise wird heute bekanntlich davon ausgegangen, dass jemand, der heute noch ein solches körperfeindliches Weltbild vertritt, in seiner Kindheit und Jugend stark von einem religiösen Elternhaus beeinflusst war. Das war bei mir aber nicht der Fall. Ich habe dieses Weltbild unabhängig von meiner Erziehung entwickelt. Das mystische war bei mir anscheinend schon angeborenerweise viel stärker vorhanden als bei den meisten Menschen.

Faktum ist jedoch, dass mir eben dieses Weltbild jetzt im Erwachsenenalter Probleme bereitet. Es ist einfach zu hoch gegriffen — bzw. übers Ziel hinausgeschossen. Anstatt mir zu einem guten etischen Leben zu verhelfen, machte es mich unglücklich und passiv. Immerhin habe ich das jetzt erkannt. Das Problem ist nur, dass man ein so tief sitzendes Denkmuster, dass so stark ist, dass es zur erlebten Realität geworden ist, nicht einfach mal von heut auf morgen ändern kann. Das muss schrittweise vonstatten gehen. Deshalb bin ich jetzt dazu übergegangen, mein Verhaten in kleinen Schritten zu ändern. Wenn ein solcher Schritt — und sei er auch noch so klein und scheinbar unbedeutend — dann einmal gelingt, darf man sich ruhig auch mal darüber freuen.