Darüber habe ich letztens schon mal kurz etwas geschrieben, aber ich erachte das Thema als so wichtig, dass da noch mehr dazu gesagt werden muss. Der Weg der Mitte ist eine Lehre aus dem Buddhismus und ist etwas, was im westlichen Kulturkreis meinem Empfinden nach viel zu kurz kommt. Oft wird das Bild eines Lautenspielers verwendet: Wenn die Saiten der Laute zu stark angespannt werden, reißen sie. Wenn sie zu lasch angespannt sind, kommt kein Ton aus der Laute. Nur, wenn die Saiten stark genug angespannt werden, dass sie schwingen können, aber nicht zu stark, damit sie nicht reißen, kann man auf der Laute Musik spielen.
Aufhänger meines heutigen Blogeintrags ist, dass die Diskussion aus dem vorherigen Beitrag (Thema Gendermainstreaming und Christentum) doch noch kurz weiterging. Der Kommentarschreiber Felix Späth antwortete mir:
Die Vorstellung, dass geschlechterspezifisches Verhalten anerzogen sei, ist aus meiner Sicht in vielen Fällen geradezu offensichtlich. Ich empfehle hierzu folgenden Beitrag, der dies auf frappierende Weise deutlich macht:
Vor diesem Hintergrund ist ein bewusster Umgang mit diesen Klischees sehr wichtig. Ansonsten bedroht dies unser aller Freiheit und die Entwicklung unserer Kinder.
Zur Sprache: Ich befürworte sicher nicht alles. Aber dass diese Fragen diskutiert werden müssen, finde ich richtig und wichtig, weil die bisherige Sprache letztlich Ausdruck einer patriarchalen heteronormativen Kultur ist, die die Mehrheit der Menschen (insbesondere: Frauen!) nur unzureichend repräsentiert.
Und Nein, das wird nicht „von oben“ verordnet. Was soll diese Aussage in einer Demokratie eigentlich bedeuten? Die Entwicklungen sind vielmehr im Ausgangspunkt aus der Zivilgesellschaft, also von „unten“ entstanden. Zum Beispiel die „Ehe für alle“ macht dies deutlich. Ohne den jahrzehntelangen Kampf von „unten“ hätten wir sie noch immer nicht, würden wir gleichgeschlechtlich orientierten Menschen noch immer ohne Grund ein Menschenrecht vorenthalten.
Herrn Kutschera kann ich nach seinen völlig verrückten und menschenverachtenden Äußerungen zur Ehe für alle nicht mehr ernst nehmen. Die Aussage, damit werde von Seiten des Staates Pädophilie gefördert, ist schon in sich widersprüchlich und bewegt sich auf dem Niveau von Herrn Latzel. Überdies begeht er ständig den Fehler, aus einem vermeintlichen Sein ein Sollen zu schließen. Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass Atheismus allein nicht reicht.
Meine Antwort darauf:
Na gut, dann kommen wir da eben nicht zusammen. Bisschen traurig macht mich nur, dass es da anscheinend nur noch zwei Standpunkte gibt, entweder
Bibelfundamentalismus mit Verteufelung aller Andersdenkender, oder
Linksliberal, gegen „rechts“, für Abtreibung, für Gendermainstreaming, für „Ehe für alle“, usw.
Wenn man wie ich den Weg der Mitte geht, steht man recht einsam auf weiter Flur. Aber im Prinzip kann’s mir ja wurscht sein. Ich glaube, ich lehne mich von jetzt an nur noch zurück mit ner Tüte Chips und nem Bier und schau mir an, welche Seite gewinnen wird. Mein Tipp geht an die Fundies.
Manch ein Christ könnte vielleicht jetzt einwenden, dass der Weg der Mitte der laue Weg sei, und auf die vielzitierte Bibelstelle Offenbarung 3,16 verweisen. Das stimmt aber nicht! Lauheit bedeutet, immer den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Der Weg der Mitte ist nicht der Weg des geringsten Widerstands, denn da hat man immer beide Extremseiten gegen sich. Die eine oder andere Extremposition anzunehmen, ist oft sogar einfacher, denn da findet man immer leicht eine Gruppe, in die man sich einfügen kann, wo man immer wieder Bestätigung finden kann, und wo man die Welt in „wir“ und „die anderen“ aufteilen kann.
Unter dem unten verlinkten Video auf dem Kanal „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ hatte ich eine interessante Diskussion mit einem anderen Kommentator über das Thema Genderideologie. Anlass des Videos ist ein Disziplinarverfahren des Kirchenausschusses der evangelischen Kirchen in Bremen gegen den Pfarrer Olaf Latzel, der in einer Predigt angeblich Homosexuelle als Verbrecher bezeichnet haben soll. Daraufhin wurde seine Kirche beschmiert und Angehörige der Schwulen- und Lesbenbewegung störten seine Gottesdienste. Hier die Diskussion:
Felix Späth:
Wenn man dem Wahn anhängt, die Bibel sei heilig und jedes Wort wahr, dann ist die Argumentation von Latzel und Vorstand jedenfalls nachvollziehbar. Das Problem ist aber eben diese Grundlage, die jedweder Evidenz entbehrt und der nicht mehr Bedeutung beigemessen werden sollte wie jedem anderen Märchen auch. Es stimmt, die Bibel ist – jedenfalls bei unbefangener, unverbildeter Betrachtung – klar und eindeutig hinsichtlich des Themas Homosexualität. Allein schon der Satz „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide haben den Tod verdient; ihr Blut kommt auf sie selbst.“ in Lev 20,13 macht dies hinreichend deutlich. Diese Bibelstelle macht aber auch klar, dass die Bibel insoweit selbst die Hetzschrift ist. Wer dies übernimmt, hetzt, so einfach ist das. Klar, wer ernsthaft meint, dies sei „Gottes“ heiliges Wort, wer also seinen Verstand beim Lesen der Bibel ausschaltet, dem kann dies nicht als Hetze gelten. Anstatt sich zum Thema Homosexualität ein paar eigene Gedanken zu machen, die intersubjektiv überzeugen können (Ausgangspunkt der Überlegungen könnte sein: wem schadet zwischen erwachsenen Menschen gelebte Homosexualität eigentlich?), wird dann eine sogenannte „Schöpfungsordnung“ bemüht, was von geistiger Armut zeugt und sehr deutlich macht, dass Argumente fehlen. Das eigentliche, lächerliche Argument ist: es steht in der Bibel. Denn wenn die Bibel nicht wahr ist, dann gibt es auch keine Schöpfungsordnung im christlichen Sinne. Vor dem Hintergrund dieses fundamentalistischen Unsinns frage ich mich, ob die grundgesetzlich verbürgte, nur durch verfassungsimmante Schranken einschränkbare Religionsfreiheit nicht doch überschätzt ist. Ich neige zunehmend dazu, dass Ideologie (religiöses Denken ist im Kern ideologisches Denken, da es wie jede Ideologie auf nicht hinterfragbaren Dogmen beruht) nur einen geringeren Schutz verdient hat. Das entspricht aber wohl nicht unserer Verfassungsrealität, siehe Art. 4 GG.
Lano Talos:
Wenn Sie es so sehen, dann müssen Sie allerdings auch konsequent sein, und den links-grünen Genderideologen ebenfalls nur einen „geringen Schutz“ zugestehen. Und dem Islam natürlich sowieso!
Felix Späth:
Der letzte Abschnitt meiner Ausführungen war eine Frage, nicht mehr und nicht weniger. Da habe ich keine abschließende Position. Für den Koran gilt das Gleiche wie für die Bibel. Das Problem ist religiöses Denken, egal woher es kommt. Die „links-grüne Genderideologie“ ist ein rechter Kampfbegriff ohne Erkenntniswert.
Lano Talos:
Sie sind immerhin der einzige, der sich mit guten Argumenten der hier in den Kommentaren vorherrschenden bibeltreuen Sicht der Dinge entgegenstellt, deshalb antworte ich gerne. Es stimmt natürlich, dass die Bezeichnung links-grün hauptsächlich von Rechts-Konservativen verwendet wird, also lassen wir „links-grün“ mal weg. Ich bleibe aber bei meiner Behauptung, dass die Genderideologie eben genau das ist, nämlich eine Ideologie. Einmal, weil ganz klar eine politische Agenda dahinter steht, zum anderen, weil ich sie für pseudowissenschaftlich halte. Diejenigen, die diese Ideologie propagieren, bezeichnen sich selbst als „Genderwissenschaftler“. Dabei wird Gender nicht nur von religiöser Seite kritisiert, sondern durchaus auch von Atheisten, wie in Deutschland z.B. von dem Evolutionsbiologen und scharfen Kreationismuskritiker Prof. Ulrich Kutschera. Gender widerspricht nämlich nicht nur dem christlichen Weltbild („Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, und er schuf sie als Mann und Frau“), sondern auch dem der naturalistischen Evolution, nach der die Natur zwei Geschlechter hervorgebracht hat, um mit einer sexuellen Fortpflanzung so gut wie möglich zur Vermischung von Genen zu sorgen.
Sie bezeichnen in Ihrem Kommentar religiöses Denken als Ideologie, aber auch hier gilt, dass sich die Theologie selbst als Wissenschaft sieht, und nicht als Ideologie. Da gibt es nämlich durchaus Parallelen. Wenn Sie also ernsthaft über eine Einschränkung der Religionsfreiheit nachdenken, weil sie Religion als Ideologie ansehen, müsste dasselbe also auch für Gender-„Erziehung“ (ich würde eher sagen: Indoktrination) gelten.
Weiter schreiben Sie, dass religiöses Denken wie jede Ideologie auf nicht hinterfragbaren Dogmen beruht. Ja, dem stimme ich zu, auch wenn das nicht für jede Form der Religiosität der Fall ist. Aber auch hier sehe ich wieder Parallelen zu den Gender-Ideologen, die glauben, ihre Sicht sei die einzig richtige, und sie seinen deshalb berechtigt, wegen der Predigten von Pfarrer Latzel Vandalismus an der Kirche St. Martini zu betreiben, und den Gottesdienst auf abstoßende Weise zu stören. In dieser Sache stehe ich deshalb auch ganz auf der Seite von Pfarrer Latzel, auch wenn ich sein Gottesbild ablehne.
Felix Späth:
Vielen Dank für Ihr freundliches Bemühen, mir mit Argumenten zu begegnen. Mir ist nicht klar, was Sie mit „Genderideologie“ genau meinen. Die Genderwissenschaft ist übersetzt zunächst einmal die „Wissenschaft des Geschlechts“, das ist zunächst mal eine neutrale Feststellung. Ideologisch können nur konkrete Aussagen sein, die nicht hinreichend begründet sind und die als unverrückbar dargestellt werden. Ich schließe nicht per se aus, dass es solche Positionen gibt, dann müssen sie aber benannt werden.
Die Natur hat definitiv mehr zu bieten als nur die zweigeschlechtliche Fortpflanzung. Für einen ersten Einstieg empfehle ich den Wikipedia- Artikel zum Stichwort „Fortpflanzung“. Viel wichtiger erscheint mir aber, was Sie möglicherweise mit dieser These von den zwei Geschlechtern in der Natur implizieren wollen. Sie sind hier in der Gefahr, einen naturalistischen Fehlschluss zu begehen, nach dem Motto: In der Natur ist es so, also ist es gut. Von einem Sein kann man aber nicht logisch auf ein Sollen schließen. Genauso könnte ich argumentieren, dass es vielerorts in der Natur Homosexualität gibt und dass sie deshalb gut sein muss. Auch das wäre wenig überzeugend.
Sicherlich kann man die Bibel wissenschaftlich erforschen. Wenn Theologie aber mit „Bekenntnis“ verbunden wird, ist man stets in der Gefahr, bestimmte Fragen lieber doch nicht zu stellen, oder sie zu stellen, aber zwingend zu einem bestimmten Ergebnis gelangen zu müssen. Das ist dann aber keine Wissenschaft mehr.
Vandalismus und Störung von Gottesdiensten lehne ich ab. Ich lehne es aber auch ab, wenn Menschen, die niemandem etwas getan haben (Teilnehmer der CSDs), als Verbrecher bezeichnet werden. Das ist einfach nur widerlich und beleidigend. Wenn ich dann hier die ganzen religiösen Kommentare höre, die damit offenbar kein Problem haben, dann macht mich das traurig und wütend.
Lano Talos:
Genderideologie bzw. „Gendermainstreaming“ ist die Vorstellung, dass geschlechterspezifisches Verhalten anerzogen ist, dass das traditionelle Geschlechterverständnis schlecht sei, und dass man die Gesellschaft entsprechend umändern müsse, um es zu überwinden. Dazu müsse man die Kindererziehung schon in sehr frühem Alter verändern (siehe z.B. https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/geschlechtsbezogene-erziehung-sexualerziehung/1264), und sogar in die deutsche Sprache eingreifen, weil sie angeblich diskriminierend ist („Gendersprech“, was ja jetzt schon an Schulen, Unis, und Behörden verpflichtend ist). Das wird ja alles von oben verordnet, Bürger haben kein Mitspracherecht. Hier z.B. ein Aufsatz von dem Atheisten Prof. Ulich Kutschera, den ich in meinem letzten Kommentar bereits erwähnte: https://www.laborjournal.de/blog/?p=9391
Was Latzels „Verbrecher“-Zitat betrifft, ich kenne die betreffende Predigt nicht und weiß nicht, was er genau gesagt hat. Der Kirchenvorstand behauptet ja, Latzel sei aus dem Zusammenhang zitiert worden und er habe sich für Missverständnisse entschuldigt. Ich hatte ja gehofft, dass er etwas genauer darauf eingegeht, aber da kam nicht mehr viel. Leider sind auch viele Latzel-Verteidiger hier in den Kommentaren hauptsächlich damit beschäftigt, allen „Ungläubigen“ die ewige Hölle an den Hals zu wünschen, anstatt mal darüber zu informieren, wer mit den „Verbrechern“ eigentlich gemeint sein soll.Nur noch als kleine Anmerkung, ansonsten bin ich wahrscheinlich näher bei Ihnen, als Sie vielleicht meinen. Jedenfalls näher als der Mehrheit der anderen Kommentarschreiber hier.
Hier endete der Diskussionsstrang. Noch als Nachtrag: Der Einschätzung von Felix Späth, dass die Bibel eine Hetzschrift ist, hätte ich letztes Jahr noch zugestimmt. Heute würde ich sagen: Es hängt davon ab, wie man sie interpretiert. Die meisten bibeltreuen Christen würden wohl nicht zugeben, dass sie die Bibel der Zeit entsprechend auslegen, de facto tun sie es aber trotzdem. Exodus 22,17 „Eine Hexe darfst du nicht am Leben lassen“ wurde bekanntlich im Mittelalter und der frühen Neuzeit wort-wörtlich in die Tat umgesetzt. Heute werden sie diesen Vers halt irgendwie anders interpretieren, keine Ahnung wie. Ist zum Glück auch nicht mein Problem, weil ich kein bibeltreuer Christ bin.
Ludwig Gartz glaubt, dass es in absehnarer Zeit zu einer offenen weltweiten Diktatur kommen wird, und erklärt, warum das nicht nur schlecht ist. Ich glaube, dass er einen ziemlich guten Durchblick hat.
Prophezeiungen können unterschiedliche Funktionen erfüllen. Sieht man einmal von Irrtümern, Wahnvorstellungen, und bewussten Irreführungen ab, schlage ich die im Folgenden genannten drei Kategorien vor. Für jede dieser Kategorien gibt es, so meine ich, Beispiele in der Bibel, die ja bekanntlich voll von Prophezeiungen ist:
Ankündigung von Ereignissen, die nicht mehr kollektiv abzuwenden sind, damit einzelne die Möglichkeit haben, sich individuell auf bevorstehende Schwierigkeiten vorzubereiten. Beispiel ist die Ankündigung der Sintflut an Noah, damit er Zeit hatte, seine Arche zu bauen, um sich, seine Familie, und alle tierischen Spezies zu retten (wie auch immer die praktische Umsetzung dabei ausgesehen haben mag…).
Warnung von Ereignissen, die stattfinden werden, falls die Menschen kollektiv ihr Verhalten nicht ändern, die aber abgewendet werden können, falls eine kritische Masse ihr Verhalten ändert. Beispiel aus der Bibel ist die angekündigte Zerstörung der Stadt Nivine im Buch Jona, die dann doch nicht stattfand, weil die Bewohner von Nivine von ihrem schädlichen Verhalten umkehrten und Buße taten.
Prophezeiungen als „Drehbücher“ für bestimmte Ziele. Diejenigen, die diese Ziele erreichen wollen, setzen sie dabei als Prophezeiungen in die Welt, und arbeiten dann gezielt auf deren Erfüllung hin. Je mehr Menschen dann diesen Prophezeiungen glauben, desto mehr Energie steht den Urhebern für die Erfüllung ihrer Ziele zur Verfügung. Beispiel könnten möglicherweise die Ereignisse sein, die in der Offenbarung des Johannes prophezeiht wurden.
Natürlich gibt es auch außerhalb der Bibel jede Menge Prophezeiungen, die man auf diese Weise in je eine dieser 3 Kategorien einordnen kann.