(Eine Anekdote oder vielleicht ein Gleichnis)
— Ein Gastbeitrag von Aberwissen —
(Es war einmal vor langer Zeit…) Den Stuttgarter Bahnhofsgegnern ging es nie nur um den gewohnten (quasi Teil ihres Lebens gewordenen) Bahnhof oder um die (profit-orientierten) Motive der Projekt-Lobby, sondern es sind ursprünglich auch Parkschützer. Mittlerweile ist der alte Bahnhof demoliert und der Park is längst zerstört. Die Bäume sind längst gefällt. Trotzdem gab’s weiterhin jeden Montag Demo, ausnahmslos, bis dato seit Jahren, und etliche regelmäßige weitere Protestaktionen. (Wenig davon in den Medien berichtet.) Der Protest ist enorm hartnäckig und ausdauernd und den Betreibern höchstwahrscheinlich ein durchaus störender, vielleicht sogar schmerzender, Stein im Schuh. Man kann auch noch nicht mal so ganz sicher sagen, dass das Projekt bestimmt trotzdem wie geplant durchgeboxt werden wird. Aber halt wahrscheinlich schon.
Aber meiner Meinung nach ist das gar nicht so wichtig. Das ist nicht das Wesentliche. Dazu ein Vergleich:
Angenommen auf dem Schulhof ist eine Gruppe und die schikaniert einen schwachen Einzelnen. Der bemüht sich ängstlich, die Gruppe zu beschwichtigen, aber die Gruppe schikaniert ihn immer heftiger. Wenn sich jetzt ein Anderer einmischt, ist dieser wahrscheinlich zu wenig, um dem Einen wirklich richtig effizient helfen zu können. Aber dennoch bringt es auch NICHT NICHTS, es bringt mindestens Irritation, vielleicht Abweichung, und es könnte sogar weitere Helfer ermutigen. Aber selbst wenn es bei dem einen Helfer bleibt, ist die Welt damit doch noch ganz klar besser als eine, in der alle Umstehenden nichts tun und nur gleichgültig glotzen.
Sand im Getriebe des Falschen und Schlechten ist immer noch besser als eine Welt, in der das Falsche und Schlechte völlig ungebremst und völlig ungehindert, also mit größter Selbstverständlichkeit einfach so seinen Lauf nehmen kann. Es ist gut, auch wenn es nur Sand ist.
Es wäre insofern sogar gut, selbst wenn es in manchem Fall fast oder auch absolut gar nichts gebracht haben würde. Aber nur die wenigsten Dinge sind völlig folgenlos. Sogar Kettenreaktionen sind nichts Seltenes, nur laufen sie häufig auch mal schleppend und allmählich, fast unmerklich ab.
Wir sind alle nur wie Sand. Wenige von uns sind wichtiger als ein Sandkorn am Meer. Und selbst die halten sich meist noch für wichtiger als sie sind. Es gibt immer welche, die würden fehlen, wenn sie nicht da wären. Aber allzu sehr wichtig sind sie nicht. Weil es das Menschenschicksal ist, dass das Leben auch ohne einen weitergeht. Deshalb sind alle nur wie Sand. Nichts als Sand. Längst haben sich die systemischen Einheiten unabhängig von Leuten verselbstständigt. Die systemischen Einheiten (wie Konzerne oder Parteien) können die Leute austauschen, und können die Leute weit überdauern. Leute sind nur zeitweilige Erfüllungsgehilfen. Als Individuen bedeuten sie nur so viel wie Sandkörner. Alles ist in Wahrheit klein und menschlich und nur Großmannssucht und kleinkariert und kleinlich wie Sand.
Alle Menschenleben verwehen wie Sanddünen am Meer. Sie werden vom Leben hin und her geschoben. Werden vom Leben hin und her gedrängt. Werden zur Seite oder abwärts geschoben, werden auch mal aufwärts geschoben. Werden zerstreut, formieren sich neu, usw.
Aber wenn wir nicht auch Sand im Getriebe sind, dann sind wir noch weniger als das. Denn dann sind wir nur das Getriebe selbst. Dann sind wir nichts. Und das Getriebe ist alles.
Der Sand im Getriebe des Falschen und Schlechten macht den Unterschied. Dieser lästige dumme kleine Sand im Getriebe, der Trotz, der Protest, die Reaktion, macht den feinen Unterschied zur absolut schlechten Welt aus. Den Unterschied zur Gleichgültigkeit.
Also ist es dann gut, auch wenn es nur Sand ist.
…Das war nicht das Wort zum Sonntag, sondern zum Wochentag, und zwar ein wenig aus Protest. Aus innerem Protest heraus schreibe ich diese Zeilen im Flüsterton. Ich finde es gut, wenn sich die Leute streiten. Es gibt wirklich wesentlich wichtige Gründe dafür. Es erscheint mir sinnvoll. Deshalb finde ich es gut, auch wenn es nervig ist, stressig ist, so andauernd und ständig.
Der Streit ist wie Sand, den die ganze Gesellschaft ins Auge bekommt.
Das ist gut so.
Sonst kümmert man sich nicht.
…Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, das ist klar. Aber das war nie anders. Damit muss man leben. Und der Dritte kann sich ebenso freuen, wenn sich niemand mehr kümmert.
Ohne Streit gibt es nicht mal mehr Sand, dann gibt es nur noch System und Maschinerie, wie unter klinischen, geistig sterilen Bedingungen. Und alles ist System. Wir sind organische Roboter, und nur noch Rendite bringt Leben. Als Freiheit zur Pause oder als Freiheit zur endgültigen Flucht.
Dann gibt es echtes Lebensgefühl nur noch ganz oben oder ganz unten. Und überall zwischendrin nur noch Ablenkung und Betäubung, und doch unangenehme Vorahnung.
Und Hoffen, aber auf was eigentlich? Wie soll alles besser werden? Ist das Gegenteil nicht wahrscheinlicher? Die Zeit rieselt wie Sand in der Sanduhr. Die Maschine läuft wieder wie geschmiert. Ich gucke ein Youtube-Video und bin wirklich sehr froh, dass es da ist. Jemand sieht die Dinge ähnlich…