Natürlich gibt es nur eine Wahrheit. Dieses posmoderne Denken, dass jeder seine eigene Wahrheit hat, ist Blödsinn. Aber die Wahrheit hat es auch so an sich, schmerzhaft zu sein. Fast immer. Oft wollen wir die Wahrheit nicht hören. Wir sind gut darin, den Splitter im Auge der anderen zu finden, aber den Balken im eigenen Auge wollen wir nicht wahrhaben. Wir sind alle so. Aber darum soll es mir hier nicht gehen, da haben schon andere drüber gesprochen, die das besser können, als ich.
Nein, mir geht es hier vielmehr darum, dass „Wahrheit“ leider auch häufig missbraucht wird. Mir fallen immer wieder Wahrheitssager oder solche, die sich dafür halten, auf, die das tun. Sei sagen sehr klar und direkt heraus, was sie in anderen an Fehlern sehen, und meinen dann, es sei richtig das auch klar auszusprechen, da es ja die Wahrheit sei. Und wenn sich die „Opfer“ dann verletzt fühlen oder, noch schlimmer, sich dagegen zur Wehr setzen, heißt es dann von Seiten dieser Wahrheitssager, dass die sich zur Wehr setzenden eben die Wahrheit nicht vertragen könnten. Das ist im besten Falle Demütigung, im schlimmsten Falle emotionale Erpressung. „Wahrheit“ ist noch lange kein Freibrief, andere zu verletzen, bloß zu stellen, oder gar zu beleidigen. Auch ich selber muss immer wieder darauf achten, so etwas nicht zu tun, wahrscheinlich habe ich mich auch schon öfters so verhalten. Und selbst wenn es die Wahrheit ist, heißt es deshalb noch nicht, dass deshalb alles ausgesprochen werden muss, wenn es andere verletzt. Eine nicht ausgesprochene Wahrheit ist nämlich noch lange keine Lüge.
Was mir ebenfalls bei manchen dieser Leute auffällt, ist der geradezu inflationäre Gebrauch der Begriffs „Wahrheit“. Das führt dann letzlich dazu, dass dieses Wort irgendwann völlig inhaltsleer und bedeutungslos wird. Für mich muss Wahrheit etwas mit Realität zu tun haben. Und am realsten ist immer das, was genau jetzt geschieht: Das, was ich gerade sehe, wahrnehme, tue. Die Wünsche und Nöte, die ich gerade jetzt habe. Wie ich mich gerade fühle. Die Menschen, mit denen ich gerade jetzt zu tun habe. Das ist real. Und nicht irgendwelche abstrakten, religiösen Konzepte von Erlösung, Himmel, Hölle, usw.